"Besides, I now considered myself as bound by the law of hospitality to a people who had treated me with so much expense and magnificence." - Jonathan Swift, Gulliver's Travels, Part 1, Ch. 1
Willkommen auf der Wachstation. Neben dir liegt Schmitti und röchelt pausenlos, er ist bestimmt über 80 und macht dich sehr nervös. Obgleich heftig delirierend, brüllst du sofort nach einem Pfleger, sobald Schmitti Schwierigkeiten hat, Luft zu bekommen. Die Ärzte und Pfleger sind alle planlos, mit deinem Fall vollkommen überfordert. Ich setz mich lange zu dir, du erzählst mir, was du siehst. Auf dem ekligen Photo mit dem Lavendelfeld an der Wand siehst du ständig Fliegenschwärme, du hast 6-Sekunden-Filme, sehr unterhaltsam. „Da die Ming-Vase! Na mach doch mal, der Schlüssel, DER SCHLÜSSEL!!!“ Kurze Pause, dann „ 6 Millionen Dollar!!!“ Nach den 6 Sekunden wachst du wieder auf, Adrenalinschock, du weisst überhaupt nicht, wo du bist. „Ich bin soeben auf einer Tomate geritten.“ „Komisch, du magst doch gar keine Tomaten.“ „Eben. Und dann war die auch noch ganz pockennarbig, gar nicht ansehnlich.“
Und wieder: Adrenalinschock. Bei dem rasanten Tempo, das du vorlegst, befürchten wir, dass dir die Synapsen verschmurgeln. Komischerweise kann ich genau sehen, was du siehst, es ist unheimlich. Später rufst du mich an, ich bin gerade mit den verstörten Kindern auf dem Monbijou-Spielplatz, sagst:“ Lass uns noch kurz sprechen, ich bekomme gleich so eine Röhre in den Hals, ich weiss nicht, ob ich dann noch was sagen kann.“ Ich muss heulen und den Ausflug abbrechen. Vicki erzählst du, dir sei langweilig, wir werten das vorschnell als gutes Zeichen, bringen dir auf Wunsch deinen Computer, du willst arbeiten und die Bilder festhalten. Leider knapp 50 cm über der tatsächlichen Tastatur. Dann die Krise. Es ist abends, dein Zimmer ungewöhnlich klinisch ausgeleuchtet, alle anderen Zimmer nicht. Das ist komisch. Du liegst so steif und gerade und unbewegt da, die Bettdecke bis unter den Hals gezogen. Sehr, sehr komisch. Irgendwas ist hier nicht koscher. Du scheinst zu schlafen, aber ich bin irritiert. Das passt alles nicht. Vorsichtig ziehe ich die Decke ein Stückchen herunter und sehe entsetzt, dass du an Armen und Beinen gefesselt bist.
Du bist der letzte Mensch, den man fesseln darf. Nicht geistig, nicht körperlich, nie. Als ich stinksauer nach einem Arzt brülle, werde ich von einem grossen, dicken, Pfleger mit roten Haaren, der als einziger nicht unsympathisch ist, nach draussen gedrängt. Ich klingel und klingel, aber die Tür wird nicht geöffnet. Ich setzt mich draussen auf die Stufen, rauche und rufe Vicki an. „Gefesselt!!??!! Das geht gar nicht. Ich bin gleich da.“ Ich klingel wieder, endlich lässt man mich wieder durch, die Stationsärztin bittet mich in ihr Büro. Als ich ihr folge, komme ich an deinem offenen Zimmer vorbei. Alles ist voll mit Blut, du kämpfst wie ein Tier gegen die Fesseln, bäumst dich auf, brüllst, trittst gegen das Fussende, die Leiste fliegt raus und hinterlässt ein Loch in der Wand. Du siehst mich, schreist „Nicht mit denen reden!!“. Mir wird schlecht und schwindelig, die saudumme Ärztin zieht mich in ihr Büro und fängt an zu erklären. Alles wird schwarz mit tausend Sternchen, „Können Sie mir folgen?“ „Nein, Moment, ich muss auf den Fussboden.“ Die Tür springt auf, da ist Vicki, sieht mich, brüllt die Ärztin an „Verdammte Scheisse, die ist ja ganz gelb im Gesicht, die sieht sonst nicht so aus, machen Sie doch mal was!!“ Kommt der rothaarige Pfleger mit Rollstuhl, Kreislauf kollabiert.
Wir versuchen der Ärztin einfache und wichtige Fakten zu vermitteln: im Delirium an ein viel zu kleines Krankenhausbett gefesselt mit Zeug im Hals hätte dein Körper nicht die geringste Chance, überhaupt auf die überlebensnotwendigen Medikamente anzuspringen. Versuchen der Kuh zu erklären, dass du ganz anders bist, als jeder Patient, den sie in ihrer kurzen Karriere zu Gesicht bekommen hätte. Dass die Lebensgefahr nicht ausschliesslich vom Pankreas und der mittlerweile ebenfalls infizierten Leber ausgehe, sondern auch von deiner geistigen Verfassung. Die Tante ist verständnisfrei. Ich versuche es auf dem einfachen Weg: „Wenn Sie ihn fesseln, können Sie ihn auch gleich umbringen, oder er übernimmt das selber.“ Wir müssen gehen. Vicki bleibt stark, ich nicht.