Jumbo
1882/04/07 - New York Der mit seinem Wärter, Matthew Scott, aus London eingetroffene afrikanische Elefantenbulle betritt, von einer begeisterten Menge erwartet, amerikanischen Boden. Eine Blaskapelle empfängt Jumbo am Hafen und geleitet ihn in einer Parade den Broadway hinauf zum Madison Square Garden.
Afrikanische Elefanten, Loxodonta africana, sind grundsätzlich sympathischer und den indischen, Elephas maximus, in vieler Hinsicht vorzuziehen. Die proportional zum gewaltigen Körper eines Elefanten winzigen Ohren der Inder sind lächerlich und wirken wie kupiert. Während der Afrikaner friedlich und stolz die Savanne durchstreift, schleppen die domestizierten Inder auf Befehl ihrer Mahouts, insofern sie nicht, mental gestört, Leute tottrampeln, ständig irgendwelche Baumstämme durch die Gegend.
Der 1860 geborene, erst einen Meter grosse Jungelefant, wurde 1861 in Abessinien gefangen, zusammen mit einem Artgenossen nach Paris vermittelt, gelangt er im folgenden Jahr in den Jardin des Plantes. 1865, nunmehr 125 Zentimeter hoch, wird er gegen ein Nashorn des Londoner Zoos eingetauscht, wo er am 26. Juni desselben Jahres eintrifft.
Loxodonta africana findet man in der Geschichte Europas bis ins 19. Jahrhundert äusserst selten; Jumbo ist, seit dem Mittelalter, der vierte, dessen Aufenthalt in Europa belegt ist.
So hatte Ludwig IX. von Frankreich 1255 ein Exemplar an Heinrich III. nach London geschickt, das bis zu seinem Ableben in der Menagerie im Tower gehalten wurde.
Ein Kupferstich von Martin Schongauer (1450–1491) zeigt einen an seinen Ohren eindeutig als afrikanischer zu identifizierenden, der ein Geschenk Johanns II. von Portugal an Kaiser Friedrich III. war. Zeitgenössische schriftliche Quellen sind allerdings derart widersprüchlich, dass dieses Tier, das unter anderem auch in der Koelhoffschen Chronik von 1499 auftaucht, Teil einer die deutschsprachigen Lande durchziehenden Herde gewesen sein müsste.
Ludwig XIV. freut sich 1668, über ein Geschenk, auch aus Portugal, einen Elefanten, ebenfalls afrikanischer Herkunft.
In London erhält Jumbo, was auf Swahili soviel wie „Hallo“ (Jambo) bedeutet, diesen Namen. Eine beachtliche Medienpräsenz macht den Elefanten überaus populär. Neben dem Flusspferd Obaysch, das seit den 1850er-Jahren die Besucherzahlen steigerte, entwickelt sich Jumbo in den nächsten 16 Jahren zu der Attraktion des Londoner Zoos. Er wächst zu der beeindruckenden Grösse von vier Metern Höhe heran und lässt im Zeitraum seines Londoner Aufenthalts zum deren grossem Vergnügen über eine Million Kinder, darunter auch Winston Churchill und Theodore Roosevelt, auf seinem Rücken reiten.
Geschlechtsreife Elefantenbullen, auch den ausgewachsenen Jumbo, überkommt regelmäßig ein Musth genannter, bis heute nicht ganz erforschter Zustand, in dem die sonst friedlichen Bullen unberechenbar und sogar bösartig werden können.
Jumbo im Musth zerlegt regelmässig seinen Stall, beachtet die ihm zugeführte Elefantendame, Alice, nicht und lässt niemanden an sich heran. Die Zoodirektion hält es für zu gefährlich, weiterhin Kinder auf ihm reiten zu lassen und kündigt an, das Tier notfalls zu erschiessen. Zu diesem Zeitpunkt macht der amerikanische Zirkusdirektor Phineas Taylor Barnum der Direktion des Londoner Zoos für Jumbo ein Angebot von 10.000 Dollar, das umgehend akzeptiert wird.
Die britische Nation ist entrüstet. Ein Spottgedicht, in dem nahegelegt wird, man möge lieber den Premierminister verkaufen, erscheint, Kinder sammeln für den Rückkauf des Elefanten Geld und letztlich strengen bekannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens einen Prozess gegen Barnum an, in dem die Rechtmässigkeit des Handels überprüft werden soll. Barnum gewinnt und am 24. März 1882 wird Jumbo auf der "Assyrian Monarch" nach New York verschifft. Vor seiner Abreise geben ihm Jumbo-Fans als Proviant allerlei Obst- und Kuchenkörbchen, Champagnerflaschen Bier und Whiskyfässer mit aufs Schiff, da Jumbo täglich einen Eimer Bier und, bei Erkältung, auch eine Gallone Whisky zu sich nimmt.
Der Zirkusdirektor hat einen Elefanten erworben, der, afrikanische Elefanten sind, im Gegensatz zu den asiatischen, kaum erziehbar, keinerlei Kunststücke beherrscht, aber lediglich die Präsentation des riesigen Tiers, lockt im Laufe einer dreijährigen Tournee durch die USA und Kanada etwa neun Millionen Menschen an und Barnum verbucht einen beträchtlichen Gewinn.
Am 15. September 1885 sollen Jumbo und der Zwergelefant Tom Thumb auf dem Bahnhof von St. Thomas, Ontario verladen werden, der Stationsvorsteher, von diesem Schauspiel fasziniert, vergisst eine Weiche umzustellen und der unvorsichtigerweise auf die Gleise gelaufene Tom Thumb droht von einem heranrasenden Güterzug erfasst zu werden. In letzter Sekunde gelingt es Jumbo, seinen kleinen Freund von den Schienen zu stossen, er selbst kann nicht mehr ausweichen. Bei der Kollision entgleisen die Lokomotive und zwei weitere Wagen der Lokführer ist sofort tot, Jumbo, lebensgefährlich verletzt, umarmt in einem letzten Seufzer seinen Wärter mit dem Rüssel und stirbt.
Barnum lässt das Tier präparieren und stiftet das Skelett dem New Yorker Naturhistorischen Museum. Anlässlich der Übergabe gibt er ein Bankett, bei dem ein Nachtisch kredenzt wird, der mit zerriebenem Jumbo-Stoßzahn geliert ist und die anwesenden Gäste dürfen jeweils ein kleines Plättchen der Stosszähne mit nach Hause nehmen. Eines dieser Souvenirs befindet sich in der Sammlung des British Museum.
Barnums Agent gelingt es Alice, die Elefantenkuh, die von Jumbo in London weitgehend ignoriert wurde, zu erwerben und die „trauernde Witwe“ posiert an der Seite des ausgestopften Jumbo in einer Wandershow.
Später gelangt Jumbos Balg an das Tufts College in Medford, Massachusetts, dem Barnum das 'Barnum Museum of Natural History', Barnum Hall, stiftet, in dem der Tote dauerhaft aufgestellt beibt und zum Maskottchen der Studenten avanciert. Am 14. April 1975 bricht in der Barnum Hall ein Feuer aus, in dem die Sammlung mit dem Präparat verbrennt; übrig ist ein Stück von Jumbos Schwanz, das bis heute im Tufts College verwahrt wird.