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20130125

Kleinpeter and the Culture Shock


1928/01/25 - Dresden Victor Klemperer und Gattin waren, in der vorigen Woche, zum Schweineschlachtfest „bei Fleischhauers“ geladen. Jetzt ist er einigermassen erholt und notiert seine Eindrücke:

„O Gojim naches, oh wenig Witz u. viel Vergnügen der Gojim. Es gab in Unmengen nichts als Schweinewürste, Eisbeine, Wellfleisch, alles vom gleichen Teller, u. dazu Bier u. Kümmel. Man ruinierte sich den Magen. Man saß, etliche 60 Mann hoch, an einem halb Dutzend Tischen in mehreren Zimmern. Man trug  bäuerische und ländliche usw. Kostüme, führte Gänse aus Holz u. Schweine aus Papiermaché mit sich. Nur zwei Paare waren wirklich geschmackvoll gekleidet. [...] Es wurde getanzt, man war in stickiger Luft vergnügt, wir suchten zu entkommen, was seine Schwierigkeiten hatte – denn ein Tisch war vor den Hauptausgang gerückt – aber schliesslich doch gelang.




An unserem Eßtisch saß der krankhaft dicke fränkische Verleger (ein Dr. Schmidt) Karl Mays. Und die Witwe Mays, eine etwas spitznäsige Dame mit stolzer Haltung u. doch kleinbürgerlich, eine Fünfzigerin, sah ich auf dem Sopha thronen. – Fleischhauer mitSchlachterschürze u. falscher Nase dirigierte u. hielt eine gelehrte Rede über das Schwein. In seiner Einladung hatte er auf Bacon („Fleisch- u. Baconhauer“) angespielt. Ich überreichte ihm einen Vers: Das gelehrte Schwein spricht: / Ich bin kein Alltagsschwein für übliche Gelage, / Ich bin Symbol und zeuge ganz pro parte, / Schwein gegen Schwan, u. Schwein als Schinkenschwarte – / Schwein oder Nichtschwein das ist hier die Frage.



Unter den Gästen war der junge Dr. Arnhold von der großen Bankfirma, den wir vor einigen Jahren bei einem Abendbrot bei dem Rechtsanwalt Salzburg kennen lernten. Welch ein charakteristischer Unterschied, diese beiden Abenessen bei dem jüdischen u. dem christlichen Anwalt. Dort eine ausgesuchte Eleganz, Gänseleberpastete u. viel Delikatessen, aufs reichste serviert u. Wein und Kaffee. Hier von ein und demselben Teller Schwein, Schwein, Schwein. Hier eine primitive u. laute Lustigkeit – der Geist als Didaxis vertreten, in der auf Homer zurückgehenden Tischrede des Hausherren. Dort Literatur und Esprit.“