1936/01/28 - Moskau In der "Prawda" erscheint ein nicht signierter Artikel, "Chaos statt Musik", der die zweite (und zugleich letzte vollendete) Oper von Dmitri Schostakowitsch, "Lady Macbeth von Mzensk", kritisiert.
Bis dahin war die Inszenierung, seit ihrer Uraufführung zwei Jahre zuvor, überschwänglich gelobt, ein grosser Erfolg.
Am Abend des 26. Januar 1936 besuchten Stalin, Molotow, Mikojan und Schdanow eine Aufführung im Bolschoi-Theater. Nach der Vorstellung verschwindet Stalin, ohne den Komponisten in seiner Loge empfangen zu haben.
Der Verriss ist immens und von katastrophaler Wirkung. Alle Aufführungen der "Lady Macbeth von Mzensk"werden sofort gestoppt. Ein Kritiker nach dem anderen leistet Abbitte und stolpert über seine vorherige Meinung nach Sibirien.
Nach Stalins Tod überarbeitet Schostakowitsch die Oper zu einer neuen Fassung, die 1963 unter dem neuen Titel "Katerina Ismailowa" uraufgeführt wird.
Chaos statt Musik
Im Zusammenhang mit dem Wachstum der Kultur in unserem Lande hat das Bedürfnis nach guter Musik zugenommen. Niemals und nirgendwo haben die Komponisten so ein dankbares Publikum gehabt. Die Volksmassen erwarten schöne Lieder, aber zugleich auch gute Instrumentalwerke und Opern. Manche Theater servieren dem sowjetischen Publikum, das höhere kulturelle Ansprüche stellt, D. Schostakowitschs Oper Lady Macbeth von Mzensk als etwas Neues, als eine große Errungenschaft. Eine diensteifrige Musikkritik hebt diese Oper in den Himmel und überschüttet sie lärmend mit Ruhm. Statt einer sachlichen und ernsthaften Kritik, die ihm in seiner weiteren Arbeit von Nutzen sein könnte, bekommt der junge Komponist nur enthusiastische Komplimente zu hören.
Von der ersten Minute an verblüfft den Hörer in dieser Oper die betont disharmonische, chaotische Flut von Tönen. Bruchstücke von Melodien, Keime einer musikalischen Phrase versinken, reißen sich los und tauchen erneut unter im Gepolter, Geprassel und Gekreisch. Dieser "Musik" zu folgen, ist schwer, sie sich einzuprägen unmöglich.
Das gilt für fast die ganze Oper. Auf der Bühne wird der Gesang durch Geschrei ersetzt. Gerät der Komponist gelegentlich in die Bahn einer einfachen und verständlichen Melodie, so stürzt er sich sofort wieder, als wäre er erschrocken über ein solches Unglück, in das Labyrinth des musikalischen Chaos, das stellenweise zur Kakophonie wird. Die Ausdruckskraft, die der Hörer erwartet, wird durch einen wahnwitzigen Rhythmus ersetzt. Durch musikalischen Lärm soll Leidenschaft zum Ausdruck kommen.
Der Grund für all das liegt nicht in der mangelnden Begabung des Komponisten, nicht in seinem Unvermögen, einfache und starke Gefühle in der Musik auszudrücken. Diese absichtlich "verdrehte" Musik ist so beschaffen, daß in ihr nichts mehr an die klassische Opernmusik erinnert und sie mit symphonischen Klängen, mit der einfachen, allgemeinverständlichen Sprache der Musik nichts mehr gemein hat. Das ist eine Musik, die nach dem gleichen Prinzip der Negierung der Oper aufgebaut ist, nach dem die "linke" Kunst überhaupt im Theater die Einfachheit, den Realismus, die Verständlichkeit der Gestalt, den natürlichen Klang des Wortes negiert.
Diese Musik kommt einer Übertragung der noch um ein Vielfaches gesteigerten negativen Züge des Meyerholdschen Theaters auf die Oper gleich. Das ist die "linke" Zügellosigkeit an Stelle einer natürlichen, menschlichen Musik. Die Fähigkeit guter Musik, die Massen mitzureißen, wird hier kleinbürgerlichen, formalistischen Anstrengungen und der Verkrampfung geopfert, damit man mit den Methoden der Originalitätshascherei Originalität vortäuschen kann. Dies ist ein Spiel mit ernsthaften Dingen, das übel ausgehen kann.
Die Gefahr einer solchen Richtung in der Sowjetmusik liegt klar auf der Hand. Die "linke" Entartung in der Oper hat den gleichen Ursprung wie die "linke" Entartung in der Malerei, der Dichtung, der Pädagogik und der Wissenschaft. Das kleinbürgerliche "Neuerertum" führt zur Loslösung von der wahren Kunst, der wahren Wissenschaft und der wahren Literatur
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Der Komponist der Lady Macbeth von Mzensk mußte die nervöse, verkrampfte, epileptische Musik des Jazz entlehnen, um seinen Helden Leidenschaft zu verleihen.
Während sich unsere Kritik - und damit auch die Musikkritik - vor dem Sozialistische Realismus verneigt, setzt uns die Bühne mit Schostakowitschs Werk gröbsten Naturalismus vor. Die Kaufleute und das Volk - alle werden stumpf und grausam dargestellt. Die Kaufmannsfrau, die durch Mord Reichtum und Macht gewinnt, wird als ein Opfer der bürgerlichen Gesellschaft vorgestellt. Leskows Geschichte bekommt eine Sinnlichkeit, die sie eigentlich nicht hat.
Und das alles ist grob, primitiv und vulgär. Die Musik ächzt und stöhnt, keucht und gerät außer Atem, um die Liebesszenen möglichst natürlich darzustellen. Und die "Liebe" wird in der ganzen Oper in der vulgärsten Weise breitgetreten. Das Doppelbett des Kaufmanns steht als Mittelpunkt auf der Bühne. Auf dem Bett werden alle "Probleme" gelöst. Im selben grob naturalistischen Stile wird auch der Tod durch vergiften gezeigt, ebenso die Prügelszene.
Der Komponist hat sich offensichtlich nicht die Aufgabe gestellt, dem Gehör zu schenken, was die sowjetischen Opernbesucher von der Musik erwarten und in ihr suchen. Als hätte er bewußt seine Musik chiffriert, alle Töne in ihr so durcheinandergebracht, daß sie nur für Ästheten und Formalisten, die ihren gesunden Geschmack verloren haben, genießbar bleibt. Er ignoriert die Forderung der sowjetischen Kultur, Grobheit und Primitivität aus allen Bereichen des sowjetischen Lebens zu verbannen. Diese Lobpreisung kaufmännischer Wollüstigkeit bezeichnen einige Kritiker als Satire. Hier kann in keiner Weise von Satire die Rede sein. Mit allen Mitteln sowohl der musikalischen als auch der dramatischen Ausdrucksfähigkeit ist der Autor bestrebt, die Sympathien des Publikums für die groben und vulgären Bestrebungen und Taten der Kaufmannsfrau Katerina Ismailowa zu gewinnen.
Lady Macbeth erfreut sich eines großen Erfolges bei der ausländischen Bourgeoisie. Vielleicht wird die Oper gelobt, weil sie so absolut unpolitisch und verwirrend ist. Läßt sich das nicht damit erklären, daß diese zappelige, kreischende, neurotische Musik den perversen Geschmack der Bourgeoisie kitzelt? Unsere Theater wandten nicht wenig Arbeit auf, um die Oper von Schostakowitsch in Szene zu setzen. Die Darsteller zeigten bedeutendes Talent in der Überwindung des Lärms, des Schreiens und des Kreischens des Orchesters.
Durch dramatisches Spiel versuchten sie, die melodische Dürftigkeit der Oper auszugleichen. Leider traten dadurch ihre grob - naturalistischen Eigenschaften nur noch klarer hervor. Das talentierte Spiel verdient Anerkennung, die verausgabten Kräfte - Bedauern.