www.blogpingsite.com

20120318

Genesis 4:14


Der Kraftfahrer Ingo M. wird aus dem Zeugenstand entlassen. Entsetztes, fassungsloses Schweigen im Gerichtssaal. Grund ist nicht allein seine Aussage, die grausame Tat betreffend, die Siegfried seinen beiden Mitgefangenen vor einem Jahr in der Aufnahmezelle der JVA Würzburg anscheinend sehr detailliert beschrieb. Vielmehr die grosse Genugtuung, mit der dieser geschildert haben soll, wie er dem Bruder die Genitalien zertrat. Mit weit ausholenden Gesten solle er demonstriert haben, wie die Brechstange auf den Schädel gekracht sei, dazu soll er immer wieder gut gelaunt den Spruch wiederholt haben: „Wer den Siggi nicht kennt, hat die Welt verpennt.“ Alle Augen richten sich auf den schweigenden Mann mit dem traurigen Gesicht auf der Anklagebank. Er wirkt weder sehr gewalttätig noch verstört. Vor ihm steht ein Liter Eistee, Tetrapak, mit Strohhalm.
Der vorsitzende Richter Lothar Schmitt, der mit seinen grau melierten Stirnfransen, den hohen Geheimratsecken, den hängenden Backen und den steil nach oben ausgerichteten, zotteligen Brauen, grosse Ähnlichkeit mit einem überheblichen Uhu hat, fasst zusammen: „ Der Bericht des Angeklagten in der Untersuchungshaft und der von den Ermittlern rekonstruierte Tathergang stimmen somit weitestgehend überein. Es wurden laut Zeugenaussage von Ingo M. Einzelheiten erwähnt, die ausschliesslich dem Täter bekannt sein dürften“.



Am zweiten Prozesstag herrscht grosse Unruhe im Gerichtssaal. Es wurden zahlreiche Zeugen aus Dettelbach geladen, auch die Schaulustigen im Saal stammen grösstenteils aus dem kleinen Ort. Einige sind offensichtlich angetrunken, ihre Jackentaschen sind von Bierdosen ausgebeult, der allgemeine Umgangston ist harsch. Als Siegfried hereingeführt wird, nickt er hier und da jemandem zu, der Gruss wird mit grossem Respekt erwidert. Zuerst wird ein langjähriger Mitarbeiter des Winzers befragt. Wie er das Verhältnis der Gebrüder Lachmann definieren würde. „Gehasst haben die sich, ganz klar. Der Siggi hat geschuftet wie ein Tier, in der Frühe ist der raus in die Weinberge, hat alles genau inspiziert. Um sieben hat der den Jungen in die Schule gefahren. Siggi hat sich um alles selbst gekümmert, hat immer richtig angepackt. Der Horst hat alles versoffen. Hat nie einen Finger krumm gemacht. Als der dann das Häuschen in Dettelbach verlor, hat der sich im Maschinenraum diese Bretterbude gebaut. Durfte er ja auch, weil ihm der Hof gehört.“ Der Staatsanwalt möchte wissen, wie Horst Lachmann das Haus in Dettelbach verlor. „ Die Leute aus der Nachbarschaft haben ihn da weggeklagt. Die haben das nicht mehr ausgehalten. Jede Nacht das besoffene Gebrülle, die Schlägereien, kreischende Weiber. Überall kaputte Flaschen und Kotze. Ich weiss wovon ich rede, wir hatten das dann später in unserem Maschinenraum.“
Als der zweite Zeuge aufgerufen wird, ist dieser plötzlich verschwunden. Man findet ihn schliesslich auf einer der Damentoiletten, den Kopf gegen einen verkachelten Vorsprung gelehnt, die Beine ragen unter der angelehnten Tür hervor. In der rechten Hand eine leere Flasche Obstbrand.

▼Genesis 4:13.................................................................................................Genesis 4:15▲