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20120416

Genesis 4:24


„Wird Kain siebenfach gerächt, / dann Lamech siebenundsiebzigfach.“ - Das Ende.


In seinem Schlussplädoyer bestreitet Verteidiger Hanjo Schrepfer den Tatbestand des Mordes. Es soll sich im Falle des Winzers um eine Affekthandlung und somit um Totschlag gehandelt haben. „Über Jahrzehnte lang aufgestaute Wut und Hass, Summe aller akkumulierten Kränkungen, Misshandlungen, Demütigungen. Es war nur noch eine Frage der Zeit. Wie viel Schmerz, seelisch und körperlich, kann ein Mensch ertragen, bevor etwas in ihm kaputt geht? Versuchen Sie bitte, sich diesen immensen Hass vorzustellen. Nicht jenen leidenschaftlichen einer Hass-Liebe, der teils von guten, positiven Momenten und Emotionen entschleunigt wird. Nicht den kalten, berechnenden Hass durch einen ideologisch verklärten Filter. Sondern viel mehr eine Art „absoluter Hass“, der über die Jahrzehnte exponentiell wächst und dem nichts entgegen zu stellen ist. Ein Hass, der so gewaltig ist, dass er den Menschen um den Verstand bringt. Der Affekt, in dem Siegfried Lachmann tötete, dauerte 54 Jahre an.“


Nach dem Plädoyer ziehen sich der vorsitzende Richter Lothar Schmitt mit den anderen Richtern und den Schöffen zur Beratung zurück. Es herrscht grosse Anspannung im Saal, es wird viel geflüstert. Dann das Urteil: 10 Jahre und 6 Monate Haft wegen Totschlags. Der  Richter erkennt die besondere Härte der Vorgeschichte an. An der Schuld des Angeklagten bestehe kein Zweifel, da dieser geständig war und ausserdem über Wissen verfügte, das nur dem Täter zugänglich gewesen sein konnte. Als Beispiel nennt er Siegfrieds Aussage, er habe seine mit dem Blut des Opfers durchtränkte Kleidung im Ofen verbrannt, was mit dem Ergebnis der Spurensicherung übereinstimmt, die dort Nieten und Ösen einer Jeans fanden. Schuldig also. 


So weit, so gut. Nur dass Siegfried Lachmann in seinem ganzen Leben keine Nieten-Jeans getragen hatte. Einem aufmerksamem Beobachter wäre nicht entgangen, dass Siegfrieds Garderobe gediegen und auffallend geschmackssicher gewählt ist. Sich Siegfried in Nieten-Jeans vorzustellen, ist unmöglich. Und noch etwas hatten sowohl Gutachter als auch Spurensicherung übersehen, obwohl es in jedem Handbuch steht: wird Gewalt am Genitalbereich eines männlichen Opfers ausgeübt, handelt es sich bei dem Täter mit 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit um eine Frau. Die wenigen bekannten Ausnahmen sind wiederum zu 99 % im Homosexuellen-Milieu zu verorten. Für heterosexuelle Männer habe das männliche Geschlecht keinen Symbolwert, so lautet die kriminalpsychologische Auslegung der Statistik.
Siegfried ist zufrieden. Es war alles so gelaufen, wie es sollte. Alle hatten sie ihm seine Geschichte geglaubt, der überhebliche Richter genau so wie Staatsanwalt und Verteidiger, und der hat sogar einen Doktor. Siegfried ist ein einfacher Mann, aber nicht dumm. Und er hat sich über die Jahre eine unerschütterliche Ausdauer zugelegt. Als er abgeführt wird, dreht er sich noch ein letztes Mal um. Da steht sie in der Menge, blass und zerbrechlich, sie lächelt ihn liebevoll an. Nein, er war kein Mörder. Die Maria, die war es gewesen, die hatte den Horst kalt gemacht. Dieses Schwein. Selber schuld. Und Siegfried hatte seiner kleinen Schwester damals doch was versprochen, nämlich, dass er immer auf sie aufpassen würde. Und was der Siggi verspricht, das hält der Siggi auch. Er nickt ihr vielsagend zu. Lächelt.

▼Genesis 4:23