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20120721

Forget Herostratus!


356BC/07/21 - Ephesos Der Viehhirt Herostratos, setzt um unsterblichen Ruhm zu erlangen den, 200 Jahre zuvor, von Kroisos erbauten, Tempel der Artemis in Brand.  Das Gebäude galt als „die vornehmste, grösste und schönste Weihestätte des Erdkreises“. Die Stadt verfügt, Herostratos hatte, nach peinlicher Befragung, Tat und Motiv genannt und war hingerichtet worden, unter Androhung der, ebenfalls, Todesstrafe, ein Nennungsverbot sowohl der Brandstiftung, als auch des Namens des Brandstifters. Trotz der damnatio memoriae überliefert Theopompos von Chios die Tat des Herostratos, so dass dieser sein Ziel erreichte und bis zum heutigen Tag unvergessen blieb.


Georg Heym
Der Wahnsinn des Herostrat


Dramatische Szene
Wer ist der Größte! Ich, der seinen Namen
Vom Schemel in der dunklen Werkstatt warf
Herauf zum Äther: der die Goldschmiedsbrille,
Die sonst in Regenbogenfarben brach
Armselge Steine, nach der Sonne hob,
Daß ich berieselt war von buntem Glanz
Wie warmen Leders Rauch und heißer Stahl.
Mich fror des Namenlosen. Manchen Tag,
Wenn mit den Feilen ich durch Ringe fuhr,
Dem Tischler gleich an seiner Hobelbank,
Das Maul von Lauch noch duftend, manchen Mittag
Stand ich schwarzgallig Fenster her>
Gleich einem Tagedieb den Tag verlungert.
Des Abendfisches Gräten spie ich aus,
Und blies die Kiemen auf wie sonst ein Narr.
Ich sank ins Bette, wie ein hohles Faß
Zum Keller rollt. Ich war ein hohler Schlauch,
Ich war ein Hauch nur, den ein Gott verspie.
Ich war ein Tropfen nur im Mäanderstrom
Ein solches Etwas, daß die Gassenjungen
Nach mir die Zunge bleckten, und die Weiber
In den Buhlstätten [unleserlich] selbst mich doppelt
Am Beutel ließen. Nannt ich »Herzchen« sie,
So wiesen sie mir frech den Hintern zu.
Wie hab ich’s euch gelehrt, ihr Hagestolze,
Beturbant Pack, ihr Vetteln, ihr Geschmeiß,
Ihr Schneider, Schuster, Fleischer, Bäckersleute,
Ihr , Magier, Sternbeschauer,
Ihr Opferdeuter, Priester, ihr Beseßnen,
Ihr Jahrmarktsvolk, ihr armen Eintagsfliegen.
Ihr Rechtsgelehrten, die auf ihrem Stein
Wie Spinnen hocken, mitten auf dem Markt
Nach Beute lauernd. Ach ihr Herrn des Rats,
Ihr Tausend-Weise, ach ihr Eselsköpfe.
Wie kam die Wut mir aus dem Herzen hoch
Wie eine Wolke stieg der Zorn herauf
Wie eine Flut schoß in die Stirn er mir,
Sah ich am Mittag eure Prozession
Wie einen Regenwurm die Stadt durchziehn.
Und wenn ich bei den Frühjahrsfesten sah
Zu den Archonten auf, die, Fett und Speck,
Sich blähten auf den Stühlen, angestaunt
Von jedermann, ich hätt euch angespien,
In euer Mondgesicht, ihr Bäckerfürsten,
In euer Fleischermaul, ihr Fleischerprinzen.
Aus Nichts gehoben, wie die Blasen schwellend
Ins Nichts zu kehren, wart ihr auserlesen,
Doch nanntet ihr euch. Sohn .
Und eure blöden Namen grubt ihr ein
In heilger Tempel ungeheure Würde,
Wie Fliegen ihren Dreck der Götter Mund
Zur Speise geben, daß die goldne Lippe
Von weißem Geifer trieft. So klebt wie Aussatz,
Wie eine Pest, die aus den Mauern schwor,
Wie gelber Eiter einer weißen Wunde
Eur Namenschild bei hohen Weihgeschenken.
Und wer vom Volke nicht zu lesen mag,
Er hält euch wohl für seiner Götter Namen
Und ruft euch an. Ihr, unbekannte Männer,
Ihr bald so klein, daß ihr wie Essig trocknet.
Ihr wollt berühmt sein? Ihr, die um den Ruhm
Nicht heiße Tränen weintet, die nicht nachts
Vor Ehrgeiz krank auf euer Lager schlugt
Mit beiden Fäusten. Ihr, was wißt ihr denn,
Von diesem Feuer, von dem Durst nach Ruhm,
Von dieser Angst, man möchte vorher sterben,
Eh man den Namen aus dem Staube trug
Zum Götterschoß, ach ihr. Ich zahlte euch
Für euer Wohlwolln, für die Gönnermiene,
Mit der ihr meinen Künsten zugeschaut.
»Wie hübsch ist . Nein, seht nur diesen Leib,
Den möcht ich wohl in meinem Bette haben.«
- O. Diana von Ephesus, die den Schimpf
Erdulden mußte, räche meinen Namen,
Ich rächte dich. Dich achtet niemand mehr.
Ich nur und wen’ge glauben noch an dich,
Wenn du vor Liebe traurig angeschaut
Aus meinem Werke mich. Ja, es war Zeit,
Daß in der Hundertbrüstgen Tempel ich
Der Gotteslästrer Namen ausgelöscht,
Hinweggeschmolzen in den Riesenflammen.
Dein Werk war’s, Göttin, die wie einen Strahl
Durch meines Hirnes Nacht die Botschaft sandte.
Ich war wie trunken, schwankte wie ein Blinder,
Ich überdacht es kaum. Ich lief hinaus
Zum Licht der Berge, war allein mit dir,
Allmächtige Natur. Nun würd ich sein,
Ich würd erheben mich vom Staub der Zeit.
Ich, Herostrat von Ephesus genannt,
Ein armer Goldschmied, doch vom Ruhm gekrönt.
Und die Geschlechter, die der Schoß der Zeit
Zum Lichte , sie werden meinen Namen
Mit Ehrfurcht nennen, wenn durch die Äonen
Er strahlt dem Sirius gleich.
Ich lief am Strome hin,
Da rauschte aus des Schilfes Waldung es,
Die tausend Schwestern sahen auf zu mir,
Sie wiesen flüsternd mich einander zu:
»Seht, das ist Herostrat.« Ach Glücksgefühl,
Wie mich des Glückes Feuer heiß berann.
Ich neigte mich dem Schilf. Ich, huldvoll lächelnd
Wie’s einem König steht. Ich kam zurück zur Stadt
Zum Gotteshause durch die Gassen hin.
Aussätzge wälzten auf der Treppe sich
Mit gelben Händen greifend dem .
Die Opferhändler saßen den Stufen.
Vom Markte schwoll der Lärm der Stadt herauf,
Da trat ich ein in deine dunkle Halle,
Und zog die Schuhe aus. Das Palisanderholz
Gab meiner Fackel Leuchten rings zurück,
Der Tempel strahlte, wie von tausend Bränden,
Die hohen Säulen strahlten wie von Gold.
Die Fackel schwenkte ich, ich sah hinauf
Zum hohen Dache, sah den goldnen .
Ich sah die göttlich schöne Malerei, 
[Textlücke] 
Zu Delos dich aus Mutterleibe sprossen.
Ich sah dich mit den Hirschen, mit den Hinden
Am Quell des Baches, sah Meleagers Glut.
Ich sah Endymion, der von dir befallen
Die Hände gleich zwei Flammen warf empor,
Zu dir, du reiner Stern der Mitternacht,
Du Schützerin der unfruchtbaren Frauen,
Verdorrter Schöße gnadenreicher Schlüssel,
Du, reich an Brüsten, draus das Leben jagt
Ein Strom von Milch. Ich faßte deine Knie
Und mich voll Brunst an deinen Fuß,
Du, die ich einzig liebte diese Zeit,
Du, meine Tochter, müßtest nun vergehen
Den Flammen gebend deine Fruchtbarkeit.
Zerbersten müßten deine Eingeweide.
Mich jammerte, daß du vergehen solltest.
Im Feuer sollte aller Glanz zerspringen.
Ich weinte fast, da sah ich auf zu dir.
Und deinem strengen Auge wich ich nicht.
Du sehntest dich dem Bett des Feuers zu,
Voll Überdruß der kalten, schweißgen Arme
In reinre Wollust, stolzre Üppigkeit,
Beleidigt und geschändet von dem Volk
So vieler Bitten, solcher Qualen müde.
So tat ich es, ich trat von dir zurück.
Ich schwenkte hoch die Fackel in der Luft,
Daß rings das Pech zum Boden knisternd sprang
Und tausend Flämmchen zuckten in ihm auf.
Ich hielt sie an die Wand. Die Weihgeschenke.
Die Purpurmäntel. Deine Taubenkörbchen.
Die trocknen Früchte. Und ein Windsturm blies
Die Flamme schwellend in die bunten Zeuge.
Der Purpur taumelte in wilder Lohe,
Die Täubchen schrien, von der Glut versengt,
Die Früchte fuhren raschelnd auf und nieder.
O wie das Feuer an den Wänden fraß,
Nach oben greifend, wie viel tausend Hände.
Wie brachen springend rings die hohen Platten.
Sie wellten sich, sie warfen aus die Namen,
Die dreingelassen. Ach, ich lachte dessen,
So kurz war eine Größe nur bemessen,
Die Flammen stiegen auf, sie einten sich
Am Sims zum Meere roter Lavaglut.
Sie rankten um die Säulen sich empor
In dem Akanthus nistend wie die Schlangen.
Sie schwollen hin zur Decke, aufgebläht.
Sie einten sich von allen Tempelwänden
Wie Aureolen liefen sie dir zu,
O Wunder Wunder Göttin, da du standst
Im Meer von Lichte, da die Brüste schwollen,
Von jauchzend, da dein Bauch zerriß,
Und ließ den warmen Strom der Gluten ein
Und da du hinsankst, tönend wie die Leier,
Im Glanz der Liebe hehr und ewig groß.
»Feuer. Feuer, der Göttin Tempel brennt.
Feuer. Feuer. Wacht auf.« Ich hört den Lärm,
Ich hört ihn wachsen, hört ihn nahe kommen.
Nun heißt es, stark sein. Und ich trat heraus,
Vom Feuer unversehrt, kaum daß mein Bart
Gekräuselt ward von einer leichten Lohe.
Ich trat heraus und sah, ein Gott, auf sie.
Auf diese Därme, diese Fleischerlungen.
Auf diese Zungen, diese langen Arme.
Auf diese armen Tiere, dieses Pack.
»Da ist er« schrien sie, »seht den Götterschänder.«
»Wer?« »Herostrat.« Da hört ich meinen Namen
Wie eine Woge brausen in dem Volk.
So weit berühmt, wie eine Flut nun wachsend.
Heut weiß es Ephesus’ Million, und morgen
Schon weiß es Asia. Andern Tages schwillt
Durch Griechenland, durch Thrakien, Istrien,
Durch Skythenland und Parthien, Baktrien,
Durch Babylon, Arabien. Und der Nil
Hört meinen Namen an die Grüfte brausen.
Bis zu Karthagos ferner Pracht im Meer,
Bis hin zum Atlas, und des Weltmeers Toren
Da schwillt er weit hinaus. Und gibt es Völker
Die jenseits wohnen, sie vernehmen ihn
Wie Glockenschläge dröhnend in das Ohr:
»Dies ist ein Mann, der für den Ruhm verwarf
Das bißchen Leben, daß er ewig lebe.«
O Ruhm, o Ruhm. Nun den Heroen nah,
Kein Sterblicher, ein Sohn der Götter schon.
Ich ließ mich willig in den Kerker reißen,
Wie mußt ich lachen über ihre Wut.
Die armen Schächer, sie erbosten sich.
Sie wollten mir in ihrer Wut zu Leibe.
Ich fühlte nichts, als meinen großen Glanz,
Als meine Stärke, meine Ewigkeit.
O schöner Rausch der großen Phantasie,
Im Chor der Götter. Niemals mehr vergehn,
Der Zeit gleich ewig ward ich, Herostrat.
Noch gestern abend nur ein armer Mann,
Ein großer Gott, da diese Nacht begann.
Wer war so glücklich, wer trug je den Rausch
Der Götterfreude so im wilden Herz.
Vom Kerkerfenster sah ich weit den Glanz,
Den nächtgen Himmel wie in Gold getaucht.
Und in den Sternen las ich: Herostrat.
Ich schlief, ein Toter, nach dem Meer der Freude.
Des Todes Morgen brech mir frühe an.
Wie gerne sterb ich. Mich verlangt zu sterben.
Ich könnt nicht leben mehr mit meiner Größe.
Ich ward zu groß und zu gewaltig hier.
Mein Name darf nichts Irdisches mehr tragen,
Des Lebens Brandmal. Ich nun,
Ich hör das Hämmern schon vom Scheiterhaufen,
Die Menge lärmt schon vor den Kerkertoren.
Fort, kleine Schwäche. Herostrat genannt,
kehrt ein Großer in des Hades Reich.
Sein Leib zerfließt in Luft und Erd und Rauch,
Sein Name brennt wie eine Fackel stets.


(Die Tore werden aufgetan. Die Sonne fällt in den Kerker und beleuchtet ein kleines Männchen, mit dem gestörten Auge eines Narren.)








Bevor ich ein endgültiges Urteil über Herostrat abgebe, würde ich gerne ein Bild des Tempels sehen.
Karl Kraus


Oskar Kokoschka; „Karl Kraus II“; 1925; Oil on canvas; 145x100 cm; Leopold Museum, Vienna