1931/08/04 - Berlin In dem, mit Wochenschrift für Politik, Kunst, Wirtschaft untertitelten, Periodikum Die Weltbühne erscheint eine von Kurt Tucholski, ehemals leitender Redakteur des Blattes, geschriebene, mit seinem Pseudonym Ignatz Wrobel gezeichnete, Glosse. Der die Redaktion jetzt allein verantwortende Carl von Ossietzky wird daraufhin wegen Beleidigung der Reichswehr angeklagt, aber, mit der Begründung, dass keine konkreten Personen gemeint gewesen seien und eine unbestimmte Gesamtheit nicht beleidigt werden könne, freigesprochen.
Der bewachte Kriegsschauplatz.
Im nächsten letzten Krieg wird das ja anders sein... Aber der vorige Kriegsschauplatz war polizeilich abgesperrt, das vergisst man so häufig.
Nämlich:
Hinter dem Gewirr der Ackergräben, in denen die Arbeiter und Angestellten sich abschossen, während ihre Chefs daran gut verdienten, stand und ritt
ununterbrochen, auf allen Kriegsschauplätzen, eine Kette von Feldgendarmen. Sehr beliebt sind die Herren nicht gewesen; vorn waren sie nicht zu sehen, und hinten
taten sie sich dicke. Der Soldat mochte sie nicht; sie erinnerten ihn an jenen bürgerlichen Drill, den er in falscher Hoffnung gegen den militärischen eingetauscht hatte.
Die Feldgendarmen sperrten den Kriegsschauplatz nicht nur von hinten nach vorn ab, das wäre ja noch verständlich gewesen; sie passten keineswegs nur auf, dass
niemand von den Zivilisten in einen Tod lief, der nicht für sie bestimmt war. Der Kriegsschauplatz war auch von vorn nach hinten abgesperrt.
"Von welchem Truppenteil sind Sie?" fragte der Gendarm, wenn er auf einen einzelnen Soldaten stiess, der versprengt war. "Sie" sagte er. Sonst war der Soldat "Du"
und in der Menge "Ihr" - hier aber verwandelte er sich plötzlich in ein steuerzahlendes Subjekt, das der bürgerlichen Obrigkeit Untertan war. Der Feldgendarm
wachte darüber, dass vorn richtig gestorben wurde.
Für viele war das gar nicht nötig. Die Hammel trappelten mit der Herde mit, meist wussten sie gar keine Wege und Möglichkeiten um nach hinten zu kommen, und
was hätten sie da auch tun sollen! Sie wären ja doch geklappt worden, und dann: Untersuchungshaft, Kriegsgericht, Zuchthaus oder, das schlimmste von allem:
Strafkompanie. In diesen deutschen Strafkompanien sind Grausamkeiten vorgekommen, deren Schilderung, spielten sie in der französischen Fremdenlegion, gut und
gern einen ganzen Verlag ernähren könnten. Manche Nationen jagten ihre Zwangsabonnenten auch mit den Maschinengewehren in die Maschinengewehre.
So kämpften sie.
Da gab es vier Jahre lang ganze Quadratmeilen Landes, auf denen war der Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt ebenso streng verboten
war. Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder.
Es ist ungemein bezeichnend, dass sich neulich ein sicherlich anständig empfindender protestantischer Geistlicher gegen den Vorwurf gewehrt hat, die Soldaten
Mörder genannt zu haben, denn in seinen Kreisen gilt das als Vorwurf. Und die Hetze gegen den Professor Gumbel fußt darauf, daß er einmal die Abdeckerei des
Krieges "das Feld der Unehre" genannt hat. Ich weiß nicht, ob die randalierenden Studenten in Heidelberg lesen können. Wenn ja: vielleicht bemühen sie sich einmal
in eine ihrer Bibliotheken und schlagen dort jene Exhortatio Benedikts XV nach, der den Krieg "ein entehrendes Gemetzel" genannt hat und das Mitten im Kriege!
Die Exhortatio ist in dieser Nummer nachzulesen.
Die Gendarmen aller Länder hätten und haben Deserteure niedergeschossen. Sie mordeten also, weil einer sich weigerte, weiterhin zu morden. Und sperrten den
Kriegsschauplatz ab, denn Ordnung muss sein, Ruhe, Ordnung und die Zivilisation der christlichen Staaten.