2012/10/01 - Berlin Charité, Campus Mitte, Station 141, Zimmer #1. Ich habe 9 ml Opioid-Analgetikum-Injektion mit einer THC-Inhalation aufgewertet und sollte irgendwie einschlafen können. Im Bett neben meinem liegt aber der Novak. Peter Novak war, bis zu einem Schlaganfall, vor vier Jahren, achtzehn Kilo schwerer und Nachtwächter. Ungefähr 160 cm hoch wirkt das grauhaarige Peterchen, bei jetzt knapp 40 Kilogramm, wieder adoleszent, zumindest von hinten und wenn es sich nicht bewegt. Leider bewegt es sich aber, unentwegt, ab circa 22.00 Uhr, in einer unveränderlichen Choreographie: Novak beginnt unsere Nacht in Seitenlage, links, seine Bettdecke umarmend. Das sind die Sekunden in denen man glaubt den Rücken eines Heranwachsenden zu sehen, bis dem ersten Stöhnen, wie sich aus dem dafür typischen Knistern der Inkontinenzmatte schliessen lässt, die Volte folgt. Sein Kopf liegt danach am Fussende, die von haferschleimfarbener Iris umrahmten Pupillen seiner stark hervortretenden Augen reflektieren den über dem Kanzleramt stehenden Mond. Mattenknistern, dann ist der Kopf wieder oben. Rückenlage, Peterchen beschliesst sich zuzudecken. Er zieht die Decke mit beiden Händen bis kurz unter die Nasenlöcher und gibt auf. Für einige Minuten sitzt der kleine Mann auf der Bettkante, dann beginnt sein Rundgang, wie immer, mit einem Besuch des Sanitärtrakts. Vorsichtig sondiert Peterchen, mit Hilfe seines Rollators, den Parcours, er touchiert die linke Zarge der Toilettentür, korrigiert, kracht in die rechte und verschwindet drinnen für einige Minuten. Das wäre meine Chance einzuschlafen, aber, Touché, rechts, der Rahmen des Rollators schlägt links an der Tür etwas Lack ab und der Novak rollert zum Tisch, an dem er mit dem, mir gegenüberliegenden, kerngesund wirkenden, sehr stoischen Trockenbauer, sonst die Mahlzeiten, ich werde intravenös ernährt, schmecken lässt. Dort sitzt Peter, einen Arm auf die Tischplatte gelagert und sammelt Kraft für die Aussenrunde, zu der er bald aufbricht. Der Rollator erreicht die Zimmertür, rechts, links, wieder rechts, rollt heraus, Novak hinterher.
Mit Peterchens Rückkehr ist ein Turnus geschafft und mit Seitenlage, links, die Bettdecke umarmend ..., beginnt er den nächsten.
6.00 Uhr am Morgen ist der Novak, nach der vierzigsten Wiederholung, sehr erschöpft und fällt, zwischen Blutabnahme, Frühstück, Visite, Mittag- und Abendessen, jeweils in tiefen Schlaf.