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20110706

28 Days Lost In Transmission/ 4th Day


Dr. McCoy: "Please, Spock, do me a favor ... 'n' don't say it's `fascinating'..."
Spock: "No... but it is... interesting..." - Star Trek, The Ultimate Computer

Gleich morgens haste ich zur Wachstation. Es ist Feiertag und der Bereitschaftsarzt ist ein selbstgefälliges, feistes, braungebranntes Schwein mit viel zu langen, blondierten Haaren. Frisch aus dem Urlaub, wie er selbst betont, überfordert ihn dein „Fall“. Du kommst auf die Intensivstation. Mein Herz bleibt stehen. Andererseits hoffe ich, dass man dort möglicherweise endlich auf intelligente Ärzte trifft. Du bist stark sediert. Mittlerweile habe ich verstanden, dass Ärzte keine konkreten Aussagen machen dürfen, dass ein Krankenhaus aufgrund einer einzelnen Aussage rechtlich belangt werden kann. Dennoch stelle ich die Frage, um mir hinterher nicht vorwerfen zu müssen, ich sei zu feige gewesen: „Bitte. Wird er überleben?“ Der untersetze Mann windet sich im Türrahmen und antwortet lapidar: „Nö. Wahrscheinlich nicht. Sieht echt übel aus. Das schafft er nicht.“ Darf man als Arzt so was sagen? Ich sage es Vicki nicht. Setz mich an dein Bett, mir kullern dicke Tränen übers Gesicht, ohne dass ich es merke, kullern auf deine Hand, du öffnest die Augen. Kurz bist du da, kurz bist du klar. „Wo bin ich und warum?“ Krankenhaus, lebensbedrohliche Pankreatitis.“ Du runzelst die Stirn. „Dein Bauch verdaut sich gerade selbst.“ Du verdrehst die Augen. Ich greif nach deinem Kinn, drehe brutal dein Gesicht zu mir. „Hör mir jetzt gut zu. Du kommst gleich auf die Intensivstation. Nach der Intensivstation kommt nicht mehr viel. Dann bist du tot.



Wenn du hier wieder lebendig rauskommen willst, musst du endlich anfangen mitzuarbeiten. Hast du das verstanden?“ Du schliesst die Augen, nickst schwach und fällst wieder in ein schweres Delirium. Insekten kriechen durch die Schläuche in deinen Körper.
Vicki besucht dich auf der Intensivstation, berichtet es sei gruselig, aber wenigstens bist du jetzt unter ständiger Beobachtung und bekommst alles, was du brauchst. Sie schärft dem zuständigen Arzt alle Informationen ein, die für eine adäquate Therapie hilfreich sein könnten: dass du aufgrund deiner langjährigen Klinikaufenthalte unter einer handfesten Krankenhausphobie leidest, dass du öffentliche Verkehrsmittel konsequent meidest, da sich dort zu viele fremden Menschen auf zu kleinem Raum versammeln, dass du mit 5 Jahren Schachturniere gegen alte Profis in Prager Hotellobbys gewonnen hast und man dir mit dem üblichen 08/15 Krankenhaus-Quatsch nicht kommen kann, usw. Man zieht einen Psychologen hinzu, du wirst neu eingestellt. Vicki kommt nach hause, Kinderhüten, es ist schon spät, aber ich muss dich noch mal sehen.



Dein Raum sieht aus wie die Kommandobrücke der Enterprise, Schläuche stecken in deinem Hals und in deinen Armen, alle Vitalfunktionen werden auf einem Monitor angezeigt, der auf den Bildschirmen der Ärzte ständig kontrolliert wird. Sobald Puls, Blutdruck oder Herzfrequenz deutlich schwanken, ertönt dieses unerträgliche DINGDINGDING. Du bist sehr unruhig, trotz unfassbarer Mengen von Opiaten, Ketamin und vieles mehr. Ich versuch dich zu beruhigen, aber du kämpfst schon wieder gegen unsichtbare Feinde. Die Ärzte sind nervös. Du reagierst noch immer nicht auf die Medikamente, die die Infektion aufhalten sollen. Und dann der zweite, schwere Anfall, trotz der Drogen hast du fürchterliche Schmerzen und windest und krümmst dich. Ich gehe auf die Besuchertoilette und kotze. Es brennt, sieht komisch aus, ich begreife, dass ich seit deinem Geburtstag nichts mehr gegessen habe. Desinfiziere mich gründlich, wie wir es dir in einem deiner lichten Momente versprachen („Keine Keime verschleppen, Toiletten vermeiden, Türöffner mit dem Ellenbogen bedienen!!“).



Als ich zurückkomme, schlägst du nach den Schläuchen, brüllst:“ Jetzt habe ich 10 Stunden gewartet (??), und noch eine Runde und noch eine Runde, ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr!“ Und dann sehe ich zum ersten Mal die Pfleger und Ärzte der Intensivstation im Einsatz und bin tief beeindruckt. Die kleine, schmale Pflegerin in Blau mit dem sanften, sehr klugen, angespanntem Gesicht huscht flink und sicher zwischen den unzähligen Schläuchen hindurch wie eine Ballerina, den Blick stets gerichtet auf die vielen blinkenden Zahlen, reguliert, kontrolliert, dosiert, duckt sich, spricht beruhigende Worte, ihre Kieferknochen treten deutlich hervor, linke Seite Bett, rechte Seite Bett, das ist eine perfekte Choreographie und anmutig und meisterhaft. Du drehst durch, schlägst um dich, sie kreuzt deine Arme über deiner Brust, sagt mit Poesie-Album-Stimme. „Herr Siemsen, beruhigen Sie sich bitte JETZT.“
Du wartest, sie: “Mark. MARK!“ Der Arzt mit den sehr blauen Augen, mit dem man reden kann, ist sofort da. Sie knapp und bestimmt: “ Wir tauschen. Nicht fragen.“ Sie hält dich mit ihren kleinen Armen kräftig fest, der Mann gibt dir eine Spritze. Du bäumst dich noch mal auf, „Wieso die ganze Scheisse, wieso ?“ Und plötzlich schrei ich unvermittelt: „ Weil wir dich brauchen, du Arschloch!“. Die kleine Frau sagt „Merken Sie sich das gut, Herr Siemsen. Es ist wichtig.“ Ich werde weggeschickt und denke „Verdammte Scheisse, das Letzte, was du zu ihm gesagt hast, war „Arschloch“. Geh heim zu Vicki, die hat tiefschwarze Augenringe, ich erzähle, sie erzählt. Und sie steht und steht und steht, schäme mich, müsste ich nicht eher ihr helfen, als anders herum?