"Don't mention the war." - The Germans, Fawlty Towers
Bevor ich heute früh die Abkürzung über die Notaufnahme in der Krausnickstrasse nehme (sonst lege ich gerne ein paar Meter Umweg über den Hof zwischen mich und die neuen Hiobsbotschaften), rufe ich Vicki an und frage, ob es Neuigkeiten gibt. Sie zögert kurz, fragt, wo ich bin, entscheidet dann, es gäbe nichts Neues. Sehr vorausschauend. Denn als man mir auf der Intensivstation erklärt, dass du jetzt im Koma liegst und künstlich beatmet wirst, weil du gestern nacht fast erstickt wärest, ist alles aus.
Ich fall um. Ein Arzt ruft: “Hyperventilation, schnell, Bett!“ Ich bekomme eine Spritze und einen Cocktail, ein Pfleger bleibt an meinem Bett stehen, bis ich wieder ordentlich atmen kann. Vicki und ich hatten uns gegenseitig geschworen, uns niemals anzulügen oder uns Informationen vorzuenthalten, aber hätte sie es mir am Telefon auf der Strasse gesagt, wäre da kein Bett und keine Spritze gewesen. Meine Güte, dieses Kind ist so vernünftig. Der grau melierte, freundliche Pfleger fragt mich, was denn los sei, ich klapp wieder zusammen, erkläre, dass ich gerade erst meine Mutter verloren habe, ich habe schon lauter verwaiste, verstörte, kleine Brüder, jetzt verlieren die Kinder ihren Vater, ich bekomme eine Tablette, das knallt. Der Pfleger will mich darauf aufmerksam machen, dass auch die Möglichkeit besteht, dass du überlebst, verwirrt schimpfe und schmeichle ich gleichzeitig: “Aber Sie lügen, Sie halten alle Angehörigen für Idioten. Aber ich habe Sie alle gestern nacht arbeiten sehen, Sie sind unglaublich, mehr als Sie tun, kann keiner für ihn tun, das weiss ich.“ Der Pfleger lächelt, sagt, wenn sie nicht daran glauben würden, dass du es schaffen könntest, würden sie dein Bett jemandem mit grösseren Überlebenschancen geben. Zu viele Konjunktive.
Vicki holt mich ab. Ich sage ihr nicht, dass ich jetzt Tabletten gegen den „Angehörigen-Koller“ kriege. Die Sonne scheint, die Menschen sind fröhlich, es ist absurd. Koma? Ich steh die halbe Nacht am Schlafzimmerfenster, uns trennen knapp 200 Meter Luftlinie, mir ist schlecht, ich habe angst, wieder krank zu werden, wie in Paris, ein wenig zu sehr „von des Gedankens Blässe angekränkelt“, ein wenig Borderline, wie du gerne sagst. Vicki ist jetzt bei dir. Wann schläft sie eigentlich?