Das Gericht erkundigt sich nach dem Scheitern der zweiten Ehe des Angeklagten, ein älterer Gastwirt aus Dettelbach erklärt knapp: „Zuletzt soff die immer mit dem Bruder“. Darüber hätten sich die „Saufkumpane vom Horst“ in seinem Wirtshaus häufig „ausgelassen“. Tagelang hätte sie den Holzverschlag im Maschinenraum nicht verlassen. Anfangs hätte Siegfried noch versucht, sie „da raus zu holen“, die Wut sei aber schliesslich in Resignation umgeschlagen.
Als die zweite Ehefrau den Zeugenstand betritt, springt Siegfried plötzlich auf, murmelt Unverständliches und setzt sich verkehrt herum auf seinen Stuhl. Er wird mehrfach gebeten, sich korrekt hinzusetzen, erst als sein Verteidiger ihm etwas ins Ohr flüstert, kommt er der Aufforderung nach. Feindselig mustert er die vollschlanke Frau mit dem stumpfen, aufgedunsenen Gesicht. „Fette Fotze“, zischt Siegfried sie deutlich hörbar an, er wird verwarnt.
Als er Erika kennenlernte, war sie schlank und lebenslustig gewesen, die Leichtigkeit ihres Lachens, ihr unbeschwertes Wesen hatten es ihm damals angetan.
Sie arbeitete als neue Bedienung in der „Alten Schmiede“, eine kleine Schankwirtschaft, die man zu Fuss vom Weingut der Brüder Lachmann erreichen konnte. Für gewöhnlich mied Siegfried Gaststätten, süffige Gespräche mit fremden Menschen fielen ihm schwer. Nur hin und wieder, wenn er schlaflos und erschöpft in seinem kalten Bett lag, wenn er das Gegröle, die Raufereien, das Würgen aus der Lagerhalle nicht mehr ertrug, verschloss er Haus und Hof und spazierte durch die Dunkelheit runter zur „Alten Schmiede“. Der Bruder hatte hier striktes Hausverbot. Dort setzte er sich dann steif in die Ecke am Fenster, bestellte sich ein Bier und zahlte gleich. Ermüdet vom Stimmengewirr schlich er dann zurück zum Hof und schlief, vollständig bekleidet, endlich ein.
An jenem Abend war alles anders gewesen. Es war Saison und das Wirtshaus überfüllt mit ausgelassenen Hilfsarbeitern aus der Umgebung. Die meisten waren bereits sehr betrunken und laut, Erika hatte Schwierigkeiten, sich durch die rempelnde Menge zu zwängen. Als einer der Gäste ihr frech in den Hintern kniff, liess sie erschrocken ihr Tablett fallen und insgesamt 4 Liter Weissbier und 16 CL Obstler ergossen sich auf den verdutzten Siegfried.
Sie hatte herzlich gelacht, entschuldigende Worte kichernd versuchte sie seine nasse Hose mit einem Tuch zu trocknen. Es war lange her, dass eine Frau ihn berührt hatte. Er beschloss, ihr den Hof zu machen und mit seiner ihm eigenen Hartnäckigkeit setzte er sich schliesslich durch. Sie heirateten an einem Sonntag im Frühling. Als dann der Junge auf die Welt kam, war Siegfried überglücklich. Endlich ging es bergauf.
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