1937/07/19 - München In den Hofgartenarkaden eröffnet die von Adolf Ziegler kuratierte Ausstellung „Entartete Kunst“.
„Nein, hier gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder diese sogenannten "Künstler" sehen die Dinge wirklich so und glauben daher an das, was sie darstellen, dann wäre nur zu untersuchen, ob ihre Augenfehler entweder auf mechanische Weise oder durch Vererbung zustande gekommen sind. Im einen Fall tief bedauerlich für diese Unglücklichen, im zweiten wichtig für das Reichsinnenministerium, das sich dann mit der Frage zu beschäftigen hätte, wenigstens eine weitere Vererbung derartiger grauenhafter Sehstörungen zu unterbinden. Oder aber sie glauben selbst nicht an die Wirklichkeit solcher Eindrücke, sondern sie bemühen sich aus anderen Gründen, die Nation mit diesem Humbug zu belästigen, dann fällt so ein Vorgehen in das Gebiet der Strafrechtspflege.“
Obschon Hitler, in seiner Rede, am Vortag, anlässlich der Eröffnung der „Grossen Deutschen Kunstausstellung“, im neuerrichteten „Haus der Deutschen Kunst“, hinsichtlich der in „Entartete Kunst“ gezeigten Kunstschaffenden also auch kritische Worte fand, wird ...
... die Exposition mit 600 Werken neuer Kunstrichtungen, wie etwa des Expressionismus, Dadaismus und Surrealismus, von 2.009.899 Volksgenossen besucht werden und damit zur bis dahin, in Deutschland, meist besuchten Ausstellung von Werken der Moderne. Dort kann man – einmal wahllos herausgegriffen – Bilder von Otto Mueller sehen wie zum Beispiel „Knabe vor zwei stehenden und einem sitzenden Mädchen“
„Knabe vor zwei stehenden und einem sitzenden Mädchen“ gehörte zur 347 Gemälde und Aquarelle und 5.814 Grafiken umfassenden Sammlung des Breslauer Rechtsanwalts Ismar Littmann, in der vor allem damals zeitgenössische Künstler, wie Lovis Corinth, Max Pechstein, Erich Heckel, Max Liebermann, Käthe Kollwitz, Lucien Adrion und eben Otto „Zigeunermueller“ Mueller vertreten waren.
Littmann wurde, nach der nationalsozialistischen Machtergreifung, auf Grundlage des, am 7. April 1933 erlassenen, „Gesetz[es] über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft“, die Ausübung seiner Profession verboten. Sozial und politisch ausgegrenzt und wirtschaftlich in grosser Bedrängnis, beging er 1934 Suizid und Ismar Littmanns Witwe, Käthe Littmann, gab 1935, zur Sicherung ihres Lebensunterhalts, 156 Werke der Sammlung in das Berliner Auktionshaus „Max Perl“ – weitere 44 Gemälde reichten Littmanns Breslauer Gläubigerbanken dort ein.
Zwei Tage vor der Versteigerung wurden 18 aus der „Sammlung Littmann“ stammende Lose, darunter „Knabe vor zwei stehenden und einem sitzenden Mädchen“, wegen der „typisch kulturbolschewistischen Darstellung, pornografischen Charakters“ von der Gestapo beschlagnahmt und anschliessend in Berlin, im Kronprinzen-Palais, eingelagert. 1937 wird „Knabe vor zwei stehenden und einem sitzenden Mädchen“ in der Ausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt. 1940 erwarb Bernhard Boehmer „Knabe vor zwei stehenden und einem sitzenden Mädchen“ aus dem als „verwertbar“ erklärten Bestand der Austellung.
Nach einer Provenienzlücke von 39 Jahren wurde „Knabe vor zwei stehenden und einem sitzenden Mädchen“ für 260.000 DM über die Galerie „Achim Moeller“, London, an den Verleger Henri Nannen verkauft, von Nannen in die Henri und Eske Nannen Stiftung gegeben und in der „Kunsthalle Emden“ ausgestellt.
Durch Presseberichte auf den Fall Littmann aufmerksam geworden, untersuchte die Kunsthalle 1998 die Provenienz des Gemäldes. Nach der Bestätigung, dass das Bild aus der „Sammlung Littmann“ stammt, empfahl der Stiftungsrat die Restitution. Der Freundeskreis des Museums organisierte den Rückkauf von „Knabe vor zwei stehenden und einem sitzenden Mädchen“. Littmanns Erben erhielten 1,2 Millionen DM.