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20140603

Daily Andy


Attempted Murder 

1968/06/03 - NYC Die radikalfeministische Autorin Valerie Solanas, Verfasserin des „S.C.U.M.-Manifesto“, schiesst auf Andy Warhol.





Solanas hatte, seit dem späten Vormittag, zuerst vor dem Gebäude, 33 Union Square West, in dem sich die unlängst bezogenen, neuen Räumlichkeiten der „Factory“ befinden, später im Fahrstuhl des Hauses, auf den populären Künstler gewartet.

Monate zuvor gab Valerie Solanas Warhol, in der Hoffnung, er würde es produzieren, das einzige Exemplar des Manuskripts ihres Theaterstücks „Up Your Ass“. Warhol bemerkte, es sei „ausgezeichnet getippt“, versprach es zu lesen und später, weil er Solanas Stück als derart pornographisch empfand, dass er glaubte, es könne sich nur um eine ihm von der New Yorker oder der Bundespolizei, gestellte Falle handeln, weggeschmissen.

Als die Autorin Warhol, nach vergeblichem Warten auf seine Reaktion, wegen des Manuskripts kontaktiert hatte, sagte Warhol, er könne es, da beim Umzug einiges durcheinander gekommen sei, nicht finden.
Solanas glaubte ihm nicht, stattdessen aber, dass Warhol ihr Manuskript, um es unter seinem Namen zu verwerten, unterschlagen habe. Meist obdachlos und in finanzieller Not verlangte sie eine Entschädigung. Warhol lehnte ab. Er bot ihr, sich des ausgezeichnet Getippten erinnernd, eine, in der Factory zu besetzende Stelle als Schreibkraft an. Das wiederum lehnte Solanas ab, man einigte sich, vorerst. Für einen Auftritt in Warhols Film „I, A Man“ erhält Valerie Solanas ein Honorar in Höhe von $25, ist aber immer noch verärgert. 

Andy Warhol steigt gegen halb Drei in den, seit einer halben Stunde mit der Attentäterin auf und ab fahrenden, Lift.
Statt ihrer schlampigen Kampflesbenuniform trägt Valerie unter dem eleganten Regenmantel einen schwarzen Turtleneck-Sweater, ist frisch frisiert und hat Make Up sowie Lippenstift aufgetragen. Gemeinsam mit Warhol verlässt sie den Fahrstuhl, beide betreten die Factory und Andy gratuliert ihr zum „gelungenen neuen Look“. 
Das Telefon klingelt. 
Fred Hughes, Warhols Manager, reicht Warhol den Hörer. 
„Andy Warhol, Hallo!?“ 
Solanas greift, wortlos, zur Waffe, sie schiesst auf Warhol, trifft ihn zweimal nicht und dann doch. 
Dieser Schuss durchdringt Warhols linken Lungenflügel, zerreisst Milz, Magen, Leber und die Speiseröhre, um schliesslich in seinem rechten Lungenflügel stecken zu bleiben. 
Dann, ein weiterer Schuss, in die rechte Hüfte des ebenfalls anwesenden Kunstkritikers Mario Amaya. Solanas versucht jetzt noch Hughes mit einem an der Stirn aufgesetzten Schuss zu töten. 
Weil sich das Projektil in der Lademechanik der Waffe verklemmt, überlebt Hughes und bittet Solanas darum, zu gehen. 
Sie geht. 
Warhol, klinisch tot, wird zum Columbus Hospital gebracht wo 5 Chirurgen in einer 5-stündigen Operation sein Leben retten.





S. C. U. M.

Da Andy „Up Your Ass“ weggeworfen hat, hier, die Kernthesen aus Valerie Solanas „S.C.U.M. Manifesto“:

Das Leben in dieser Gesellschaft ist ein einziger Stumpfsinn, kein Aspekt der Gesellschaft vermag die Frau zu interessieren, daher bleibt den aufgeklärten, verantwortungsbewussten und sensationsgierigen Frauen nichts anderes übrig, als die Regierung zu stürzen, das Geldsystem abzuschaffen, die umfassende Automation einzuführen und das männliche Geschlecht zu vernichten.

Heute ist es technisch möglich, sich ohne Hilfe der Männer (oder, in diesem Fall: Frauen) zu reproduzieren und ausschliesslich Frauen zu produzieren. Wir müssen sofort damit beginnen. Der Mann ist eine biologische Katastrophe: das (männliche) y-Gen ist ein unvollständiges (weibliches) x-Gen, das heisst, es hat eine unvollständige Chromosomenstruktur. Mit anderen Worten, der Mann ist eine unvollständige Frau, eine wandelnde Fehlgeburt, die schon im Genstadium verkümmert ist. Mann sein heisst, kaputt sein; Männlichkeit ist eine Mangelkrankheit, und Männer sind seelische Krüppel.

Der Mann ist völlig egozentisch, in sich selbst eingekerkert und unfähig, sich in andere hineinzuversetzen oder sich mit ihnen zu identifizieren, unfähig zu Liebe, Freundschaft, Zuneigung oder Zärtlichkeit. Er ist ein vollkommen isoliertes Einzelwesen, unfähig zu irgendwelchen Beziehungen mit anderen. Seine Reaktionen kommen aus den Eingeweiden, nicht aus dem Gehirn; seine Intelligenz ist lediglich Werkzeug seiner Triebe und Bedürfnisse; er ist unfähig zu geistiger Leidenschaft, geistigem Kontakt. Für ihn gibt es nichts ausser seinen eigenen physischen Sensationen. Er ist ein halbtoter, reaktionsloser Klotz, unfähig, Freude und Glück zu geben oder zu empfangen; so ist er bestenfalls ein altes Ekel, ein harmloser Tropf; denn Charme hat nur, wer auf andere einzugehen vermag.

Der Mann ist irgendwo im Niemandsland zwischen Mensch und Affe stehengeblieben, wobei er schlechter dran ist als die Affen, denn im Gegensatz zu diesen verfügt er über ein grosses Arsenal von negativen Gefühlen - Hass, Eifersucht, Verachtung, Ekel, Schuld, Scham, Zweifel - und was noch schlimmer ist: er ist sich dessen bewusst, was er ist und was nicht. Obwohl er ausschließlich physisch existiert, ist der Mann nicht einmal als Zuchtbulle geeignet. Unterstellen wir wenigstens mechanisches Können, über das nur wenige Männer verfügen, so ist der Mann doch vor allem unfähig, eine lustvolle, sinnliche Nummer zu schieben; statt dessen wird er von Schuld- und Schamgefühlen, Angst und Unsicherheit aufgefressen - Gefühlen, die tief in der Natur des Mannes verankert sind und die auch die aufgeklärteste Erziehung nur abschwächen kann. Zweitens ist die körperliche Empfindung, die er aufzubringen vermag, gleich Null, und drittens versetzt er sich nicht in seine Partnerin hinein, sondern ist von der Idee besessen, ob er es richtig schaffen wird, ob er einen erstklassigen Auftritt hinkriegt, ob er seinen Klempnerjob gut hinter sich bringt.

Den Mann ein Tier zu nennen, heisst ihm schmeicheln. Er ist eine Maschine, ein Gummipeter auf zwei Beinen. Man behauptet, die Männer würden die Frauen benutzen. Benutzen wofür? Gewiss nicht zum Vergnügen.

Gleichwohl ist der Mann wie besessen aufs Vögeln aus; er wird durch einen See voll Rotz schwimmen, meilenweit durch bis zur Nase reichende Kotze waten, wenn er nur glaubt, dass am anderen Ufer ein freundliches Vötzchen auf ihn wartet. Eine Frau, die er verachtet, wird er trotzdem vögeln, irgendeine zahnlose alte Hexe, und darüber hinaus für diesen Glücksfall noch bezahlen. Warum? Um die physische Spannung loszuwerden? - Das ist keine Antwort, denn dafür genügt die Onanie. Auch zur Stärkung des eigenen Ich dient es nicht - das würde nicht erklären, warum er Leichen und Säuglinge fickt.

Die Mutter will das beste für ihre Kinder. Daddy will das beste für Daddy. Und das ist Ruhe und Ordnung, Aufrechterhaltung seiner Wahnvorstellung von Würde ("Respekt"), ein günstiges Bild seiner eigenen Person ("Status") und die Möglichkeit zur Kontrolle und Manipulation oder - wenn er ein "aufgeklärter" Vater ist - zur "Führung". Ausserdem begehrt er seine Tochter sexuell - er gibt ihre Hand zur Ehe; der andere ist nur für ihn da. 

Daddys passive, hohlköpfige Tochter, die dauernd nach Anerkennung lechzt, nach einem Klaps aufs Hohlköpfchen, nach "Respekt" vor jedem hergelaufenen Dreckstück, kann leicht zur Mama reduziert werden, zu einem bewusstlosen Verwalter physischer Bedürfnisse, zum Seelentröster eines Affen, zur Stütze für ein kümmerliches Ich, zum Bewunderer des Verächtlichen - zu einer Wärmflasche mit Titten.

Die Reduktion der Frauen zu Tieren im rückständigsten Sektor der Gesellschaft - der "priviligierten", "gebildeten" Mittelklasse, dieser Hinterprovinz der Humanität, wo Daddy unangefochten regiert - ist so gründlich, dass die Frauen sich nach der Tretmühle der Arbeit drängen und heute, in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts, im fortgeschrittensten Land der Erde, mit am Busen fettwerdenden Babies herumlungern. Aber trotzdem geschieht es nicht zum Wohl der Kinder, wie "Experten" den Frauen weismachen wollen, wenn Mama zu Hause bleiben und im Bereich des Animalischen herumkriechen muss, sondern es ist Daddys Vorteil. Ihr Busen gehört ihm, damit er sich festhalten kann; die häusliche Tretmühle ist für ihn, damit er sich "groovy" (blendend) fühlen kann. 

Die normale Methode der Männer, die Tatsache, dass sie keine Frau sind, zu kompensieren - besonders das Abschiessen der "grossen Kanone" - ist sehr unzulänglich, denn sie kommen ja recht selten zum Schuss; also versuchen sie es in ganz großem Stil und beweisen der ganzen Welt, dass sie "Männer" sind. Da der Mann kein Mitleid, kein Gefühl für den anderen und keine Solidarität verspürt, ist ihm der Beweis seiner Männlichkeit zahllose Menschenleben wert, einschliesslich seines eigenen. Da sein Leben keinen Wert hat, möchte er sich lieber mit einem Glorienschein davonmachen als weitere fünfzig Jahre dumpf dahintrotten.

Die Männer können keine grundlegende Revolution herbeiführen, denn der Mann an der Spitze will stets den Status quo, und die unten Sitzenden wollen nichts anderes als selber der Mann an der Spitze sein. Der männliche Rebell ist eine Farce, denn wir leben in der "Gesellschaft" des Mannes, die er sich schuf, um seine Bedürfnisse zu befriedigen. Befriedigung findet er allerdings nie, denn für ihn gibt es keine Befriedigung. Letzten Endes rebelliert der männliche Rebell gegen nichts anderes als die Tatsache, dass er ein Mann ist. Nur wenn die Technologie ihn dazu zwingt, ändert sich der Mann, wenn er keine andere Wahl hat, wenn die Gesellschaft einen Zustand erreicht, bei dem er sich entweder ändern oder sterben muss. Heute sind wir in diesem Stadium. Wenn die Frauen ihren Arsch nicht sehr schnell in Trab setzen, dann ist's gut möglich, dass wir alle draufgehen.

Mit seiner totalen Sex-Abhängigkeit und seiner Unfähigkeit zu intellektuellen oder ästhetischen Reaktionen, mit seinem Materialismus und seiner Gier hat der Mann, abgesehen davon, dass er die "große Kunst" auf die Welt losgelassen hat, seine gesichtslosen Städte mit (innen wie außen) hässlichen Gebäuden, hässlichen Dekorationen, Reklameflächen, Autobahnen, Autos, Müllfahrzeugen und - vor allem mit seiner eigenen widerwärtigen Anwesenheit verziert.

Als Ventil für seinen Hass dient dem Mann die Gewalt, und da er nur sexuelle Reaktionen kennt und sehr starke Stimuli braucht, um sein halbtotes Selbst zu stimulieren, wird er daduch sexuell ein wenig angeregt. S.C.U.M. wird alle Männer töten, die nicht Mitglieder der S.C.U.M.-Männerhilfstruppe sind. Mitglieder der Männerhilfsgruppe sind diejenigen, die fleissig daran arbeiten, sich selbst zu eliminieren; Männer, die - aus welchen Motiven auch immer - Gutes tun; Männer, die S.C.U.M. in die Hände arbeiten. Beispiele für Angehörige der Männerhilfstruppe sind: Männer, die Männer töten; Biologen, die an konstruktiven Forschungsprogrammen gegen die biologische Kriegführung arbeiten; Journalisten, Schriftsteller, Lektoren, Verleger und Produzenten, die Ideen im Sinne der Ziele von S.C.U.M. propagieren und vertreiben; Schwule, die durch ihr leuchtendes Beispiel andere Männer ermuntern, sich selbst zu entmannen und sich damit relativ ungefährlich zu machen; Männer, die permant Sachwerte verschenken - Geld, Gegenstände, Dienstleistungen; Männer, die die Dinge beim Namen nennen (bis jetzt hat das noch niemand getan), die den Frauen ihr Recht geben, die Wahrheit über sich selbst zu enthüllen, bewusstlosen und maskulinen Frauen die richtigen Sätze zum Nachplappern vorsprechen und ihnen beibringen, daß es der wichtigste Lebensinhalt einer Frau sein sollte, das männliche Geschlecht zu vernichten.

Die Abschaffung des Geldes und die Einrichtung der vollkommenen Automation wird die Voraussetzung aller anderen Reformen von SCUM sein. Ist das Geld einmal abgeschafft, dann wird es nicht mehr nötig sein, die Männer zu töten; sie werden ihres einzigen Machtmittels über die psychologisch unabhängigen Frauen beraubt sein. Sie werden nur noch jenen Stiefelleckerinnen imponieren können, die sich gerne imponieren lassen. Alle Frauen werden damit beschäftigt sein, die wenigen noch offenen Fragen zu lösen, bevor die Tagesordnung für die Utopie und die Ewigkeit festgesetzt werden kann: Dazu wird eine völlige Neuordnung des Ausbildungswesens gehören, damit Millionen Frauen binnen weniger Monate für hochqualifizierte intellektuelle Arbeit ausgebildet werden können. Ferner werden die Probleme um Krankheit, Alter und Tod gelöst, und unsere Städte und Wohnviertel werden einer gründlichen Umgestaltung unterzogen. Manche Frauen werden noch einige Zeit glauben, sie müssten Männern gefallen, aber je mehr sie sich an eine feminine Gesellschaft gewöhnen und je mehr sie an deren Projekten teilnehmen, werden sie schliesslich einsehen, wie völlig nutzlos und banal das männliche Geschlecht ist.

Valerie Solanas in „I, A Man“